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Neurodiversität, Innovation, AI – das versteckte Potenzial

  • Autorenbild: Kerstin Eiselt
    Kerstin Eiselt
  • vor 6 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit

In den letzten Jahren hat sich unser Verständnis davon, wie Menschen denken, arbeiten und Innovation gestalten, grundlegend verändert. Themen wie Neurodiversität, Inklusion und Accessibility sind nicht länger Randnotizen in HR-Footern, sondern rücken in den Fokus strategischer Unternehmensentwicklung. Gleichzeitig definiert der Technologiesprung mit generativer AI die kreative, strategische und analytische Arbeit neu. Diese Entwicklungen sind eng miteinander verknüpft und bieten eine Chance.


Kreativität, Innovation und Problemlösung waren in der Geschichte selten „normal“. Unkonventionelles Denken wurde oft abgelehnt. Persönlichkeiten wie Galileo Galilei, Giordano Bruno oder Hypatia von Alexandria, ebenso wie moderne Künstler*innen wie Marina Abramović oder Ai Weiwei, wurden aufgrund ihrer unorthodoxen Denkweise kritisiert und sogar bestraft. Eigenschaften, die wir heute mit neurodivergenten Denkweisen assoziieren - radikale Perspektiven, tiefe Mustererkennung, Spezialisierung und unbeirrbare Beharrlichkeit - waren schon immer die Grundlage großer Durchbrüche.


Genau diese Stärken werden relevanter denn je. Ob ADHS, Autismus, Dyslexie oder hochsensitive Wahrnehmung - ihre besondere Fähigkeit Probleme und Herausforderungen aus völlig neuen Blickwinkeln zu betrachten1, wird in einer hochkomplexen, AI-gestützten Welt zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Die Frage ist: Erkennen wir das Potenzial – oder übersehen wir es weiterhin?


(Neuro)diversität als strategischer Schlüsselbegriff

Geschätzt 15-20% der Weltbevölkerung ist neurodivergent2,3, mit hoher Vertretung in IT4 und der Kreativbranche5. Und während viele Unternehmen Accessibility als „soziale Verantwortung“ verstanden haben, setzt sich zunehmend ein anderes Mindset durch: Accessibility als Innovationstreiber.


Obwohl das Bewusstsein steigt, sind nur 5.2% des Webs barrierefrei - seit 2024 eine Verbesserung von gerade einmal 1.1%6. Fast surreale Zahlen, wenn man bedenkt, wie abhängig wir von digitalen Oberflächen sind.


Preety Kumar von Deque Systems stellte auf der Microsoft Ignite eine wichtige Frage: Kann AI helfen, digitale Barrieren abzubauen – oder erzeugt sie neue? Ihre Antwort: Beides. Automatisierung kann Accessibility-Lücken effizienter erkennen. Aber AI-Modelle sind heute inkonsistent, teilweise fehlerhaft, und (noch) nicht in der Lage, Barrieren eigenständig zu antizipieren. Das bedeutet, wir brauchen menschliche Diversität, um digitale Inklusion zu gestalten, nicht nur Maschinen7.


AI und Neurodiversität: eine starke Partnerschaft

AI-Lösungen, die Menschen mit Neurodivergenz unterstützen, sind keine Zukunftsvision, sondern längst Realität. Das erste Speech–to-text AI-System “Audrey” von Bell Laboratories wurde bereits 1952 entwickelt, danach folgten Tools wie Grammarly (AI Schreibassistent), Empowered Brain™ (AI-Smartglasses fürs Erlernen von sozial-emotionalen Fähigkeiten), und Samsungs AI-App “Unfear”, zur Lärm-Filterung für Autist*innen.


Innovation entsteht häufig dort, wo Menschen aufgrund von Einschränkungen neue Wege finden müssen. Neurodivergente Menschen tun genau das – nicht situativ, sondern täglich - und sie nutzen AI dafür. Studien zeigen, dass neurotypische Menschen AI primär zur Entwicklung kreativer Konzepte nutzen. Neurodivergente Menschen hingegen nutzen AI für Selbstorganisation und Effizienzsteigerung8,9.


Der Unterschied liegt nicht in der Kompetenz, sondern – wie Kim Lawrie (Group Head of Technology, Beyond) formulierte – in der Wahrnehmung: “People confuse confidence with competence.” Neurodivergente Mitarbeiter*innen treten weniger selbstbewusst auf. Aber ihre Problemlösungs- und Mustererkennungsfähigkeiten sind nachweislich höher. Und hier wird es für Unternehmen spannend.


Die Großen setzen auf neurodivergente Talente

MicrosoftPfizerJPMorganEY und andere Großkonzerne investieren seit Jahren intensiv in Programme zum Hiring neurodivergenter Talente. Nicht aus Altruismus. Sondern weil die Daten klar sind:


  • In entspannten, reizarmen Arbeitsumgebungen sind neurodivergente Mitarbeiter zwischen 90–140 % produktiver im Vergleich zu neurotypischen Kollegen.

  • Kombinierte Teams mit neurodiversen und neurotypischen Profilen erhöhen die kreative Problemlösung und Innovation durch die vielfältigen Perspektiven10.

  • Die Gesamtproduktivität dieser Teams kann um bis zu 30% steigen11,12.


Neurodiversität ist somit keine soziale Kategorie – sie ist ein Business Asset.

Dieses Potential kann sich entfalten, wenn Arbeitsplätze flexible Arbeitszeitmodelle und Autonomie priorisieren, klare Kommunikation schaffen und Reizüberflutung vermeiden. Ebenso wichtig sind ein strukturiertes Support System, Mentorship/Coaching, Routinen und inklusives Verhalten, um psychische Sicherheit zu schaffen13. Dies gibt Mitarbeitern die Möglichkeit, ihre Aufgaben entsprechend ihren kognitiven Stilen auszuführen14.


Fazit: Neurodivergenz und AI bauen die Zukunft

Wenn wir die beiden Movements von Neurodiversität und AI zusammendenken, entsteht ein faszinierendes Bild:


  • AI verstärkt die Stärken neurodiverser Denkweisen.

  • Neurodivergente Denkweisen können die Schwächen aktueller AI-Systeme kompensieren15.


Die nächste Welle echter Kreativität, Innovation und Produktivität wird von dieser Kombination getragen. Denn für viele neurodivergente Menschen ist AI der ideale Partner: Sie liefert schnelle, strukturierte Entwürfe, unendliche Iterationen und fördert explorative Denkprozesse. Die Frage ist also: Wie bringen wir AI und Neurodivergenz am effektivsten zusammen?


Unternehmen, die diese Verbindung erkennen, werden zu den nächsten Innovationsführern. Accessibility, Inklusion und neurodivergente Stärken erzeugen nicht nur Fairness, sondern messbare Produktivitätsgewinne und dadurch Wettbewerbsvorteile.


🧠 Denkanstoß

Vielleicht sieht die Zukunft nicht so aus, dass AI Menschen ersetzt, sondern dass AI endlich sichtbar macht, welches Potenzial in Menschen steckt, die lange übersehen wurden. Was wäre, wenn die größten Innovationen der nächsten Dekade von neurodiversen Teams kommen und ihre Leistung endlich sichtbar wird? Und welche Strategien und Plattformen benötigt es, um genau dieses Potenzial zu entfesseln?





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